Text lesen auf: https://www.goethe.de/de/kul/bku/20374552.html
Andreas Gursky: Gigantische Bildkonstruktionen
„Meine Bilder sind für die Ewigkeit“, bekennt Andreas Gursky anlässlich der Ausstellung in seiner Heimatstadt Düsseldorf vom 23. September 2012 bis 13. Januar 2013. Und niemand wundert sich. Denn die Werke des Fotografen, der sich lieber Fotokünstler nennt, überwältigen und verblüffen immer wieder aufs Neue.
Steht man vor den drei Meter hohen oder fünf Meter breiten Großformaten, wird man förmlich hineingerissen in das Bildgeschehen – und gerät ins Staunen. Nicht nur über die gigantischen Dimensionen, die farbliche Brillanz, sondern auch über die unzähligen, bis in hintere Bildregionen deutlich erkennbaren Details. So weit und so tiefenscharf kann kein menschliches Auge schauen.
Die Perfektion der Ausführung lässt den enormen Technik- und Zeitaufwand ahnen. „In glücklichen Fällen konnte die Aufnahme einer vorgefundenen Situation so bleiben, aber das kam in den letzten 20 Jahren selten vor“, kommentiert Andreas Gursky seine Arbeitsweise. Aus einer Vielzahl von digitalisierten Aufnahmen konstruiert er seine Bilder am Computer.
Teuerste Fotografie der Welt
Die spektakulären Sujets signalisieren den Ehrgeiz und die Prominenz des Fotografen, dem dadurch ungewöhnliche Orte rund um die Welt und privilegierte Aufnahmepositionen zugänglich sind. Das technische Verfahren, Pigmentdrucke mit Silikon und Acrylglas zu verschweißen, soll die Haltbarkeit des Materials gewährleisten.
Kunstsammler jedenfalls scheinen davon überzeugt zu sein. Die Fotografie Rhein II erzielte 2011 den Auktionsrekord von 4,3 Millionen US-Dollar und gilt als zurzeit teuerste Fotografie. Dabei ist sie kein Unikat. Eine kleine Version wird in der Düsseldorfer Schau präsentiert. Andreas Gursky lässt in der Regel eine Auflage von fünf bis sechs Exemplaren herstellen.
Wohlüberlegte Bild- und Ausstellungsdramaturgie
Obwohl seine Arbeiten in renommierten Museen vertreten sind und in zahlreichen internationalen Ausstellungen präsentiert werden, ist die Werkschau in Düsseldorf in mehrfacher Hinsicht etwas Besonderes. Andreas Gursky, der 1955 in Leipzig geboren wurde, ist noch im gleichen Jahr mit seinen Eltern dorthin gekommen und dort geblieben.
Der Großvater war Fotograf, der Vater ist es noch. Gursky studierte zuerst an der Folkwang-Schule Essen, dann von 1981 bis 1987 an der Kunstakademie Düsseldorf. Er war Meisterschüler bei Bernd Becher und begann seine Karriere als einer der rasch bekannt gewordenen Becher-Schüler, zu denen beispielsweise auch Thomas Struth, Candida Höfer und Thomas Ruff zählen. Seit zwei Jahren leitet er eine Klasse für Freie Kunst an der Düsseldorfer Akademie. Für das Ausstellungs-Heimspiel hat er freie Hand bekommen. Und er hat sehr genau überlegt, was er zeigt – und in welchen Konstellationen.
Auf dem ersten großen Bild bekommt man ungewohnt wenig zu sehen. Und doch ist es alles andere als abstrakt. Das, was das ganze Format dunkel ausfüllt, erweist sich als Wasseroberfläche. Ein gleißender Lichtstrahl durchschneidet sie malerisch im linken Drittel. Den Schuh, Illustrierte, Blüten, ein Tuch – verlorenes oder weggeworfenes Treibgut – bemerkt man nur, wenn man nah an das Bild herangeht.
Wie immer bei Gursky kann man sich an der ausgeklügelten Komposition und der raffinierten Ästhetik begeistern. Dabei handelt es sich um Müll im öligen Wasser eines Metropolen-Flusses. Es ist das erste Bild aus der neunteiligen, 2011 fertiggestellten Serie Bangkok. Sechs weitere dieser mit Effekten nonfigurativer Malerei spielenden Fotoarbeiten sind an markanten Positionen über den Ausstellungs-Parcours mit 60 Werken aus drei Schaffensjahrzehnten verteilt.
Bekannte „Gurskys“ neu gemischt
Das Bild vom grauen Teppich der Kunsthalle, wo vor 15 Jahren Gurskys letzte Düsseldorfer Einzelausstellung stattfand, ist ebenso dabei wie Frankfurt: das Panorama der Abfertigungshalle des Flughafens, auf dem das Display der Abflugzeiten ins Unendliche zu reichen scheint. Kalte Dunkelheit liegt über der surreal anmutenden Szene.
Die winzig kleinen Spargelstecher im Brandenburgischen Beelitz hat Gursky in einer minimalistischen Streifen-Struktur fast verschwinden lassen. Vietnamesische Korbflechterinnen zeigt er in der Choreografie emsiger, billig verkaufter Arbeit. Gursky hat Prada ebenso fotografiert wie Modenschauen, Formel-1-Rennen, die Börse in Tokio und die Shanghai Bank in Hongkong oder Massenkonzerte und ein Politspektakel in Nordkorea. Für seine Ozean-Serie arbeitete er mit Satelliten-Aufnahmen.
Ikonen der Globalisierung
Für die Düsseldorfer Ausstellung hat Andreas Gursky auch Bilder aus den Achtzigerjahren ausgewählt, als die Formate noch überschaubar, die Technik noch nicht so aufwendig und die Menschen noch zu zählen waren: Klausenpass (1984) zum Beispiel zeigt einzelne Wanderer vor einer sonnigen Alpenszenerie. Zehn Jahre später steigert das Panorama-Format Engadin I die Gebirgslandschaft ins Monumentale und macht die Skiläufer zu wimmelnden Ameisen. 99 Cent, das Bild eines amerikanischen Discounters, ist zur Ikone des Massenkonsums geworden. Dabei ist die Perspektive des Fotografen immer die eines distanziert von oben Schauenden. Aus der Überschau und den Details ergeben sich widersprüchliche Deutungskomponenten. Gurskys Bilder können so als Metaphern der Globalisierung verstanden werden.
Immer wieder nimmt Andreas Gursky auch Bezug auf Werke der Malereigeschichte, als wollte er sie mit seinen digitalen Fotoschöpfungen überflügeln. Das neuste Bild der Ausstellung zeigt einen über und über golden funkelnden Innenraum, der wie eine Science-Fiction-Architektur wirkt. Vielleicht kann man durch den Titel Katar darauf kommen, dass es sich um einen riesigen Flüssiggastank handelt, der gerade gereinigt wird. „Wir hatten nur ein knappes Zeitfenster zum Fotografieren“, erzählt Gursky, „und Baustrahler zur behelfsmäßigen Beleuchtung“. Er sei kein Bild-Erfinder, sondern ein Bilder-Finder, betont er immer wieder.