Malerei als Paradoxon – Thomas Scheibitz

„One-Time Pad“: Der Titel der Ausstellung von Thomas Scheibitz im Frankfurter Museum für Moderne Kunst klingt nicht nur kryptisch – er ist es auch. So lautet nämlich die Bezeichnung für einen Verschlüsselungscode, der nicht zu knacken sein soll.

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„Ich bin der Überzeugung, dass ein Bild verloren ist, sobald man es nacherzählen kann. Es braucht eine andere Qualität, die sich eben nicht in Worte fassen lässt“, erklärt Thomas Scheibitz in einem Gespräch mit der Kunstkritikerin Isabelle Graw anlässlich seiner Ausstellung im Museum für Moderne Kunst Frankfurt am Main.

Immer wieder muss der Künstler verteidigen, dass er malt. Mehrfach ist die Malerei seit den 1950er-Jahren als veraltetes künstlerisches Medium disqualifiziert worden. Trotzdem oder gerade deshalb hat Thomas Scheibitz erstaunlich schnell international für Furore gesorgt.

Das Formenvokabular verblüfft

2005 war der damals 37-jährige Thomas Scheibitz zusammen mit dem Tänzer und Performer Tino Sehgal für den Deutschen Pavillon auf der Biennale in Venedig auserwählt worden. Auch wenn dieser Auftritt nicht unumstritten war – seine Werke prägten sich ein.

Zwar ist Thomas Scheibitz weder der Erste noch Einzige, der sich mit den Grenzen des Bildrahmens nicht zufriedengibt – sein eigenwilliges, so noch nicht gesehenes Formenvokabular aber verblüfft. Staunend nimmt man wahr, wie der Künstler geometrisch Kantiges mit anthropomorph oder vegetativ anmutenden Elementen vereint, sodass die formal reduzierten, schematisierten, letztlich abstrahiert erscheinenden Gemälde auch an Figuren, Köpfe, Architekturen, Himmel und Erde denken lassen. Illusionierte Raumtiefe und dreidimensional wiedergegebene Bilddetails werden in der Nachbarschaft von nur flächig ausgeführten Elementen eigentlich ad absurdum geführt.

Auf den ersten Blick plausibel

Und doch erscheint das Ganze so schlüssig, dass selbst unvermittelt auftauchende Buchstaben, Zahlen und Zeichen mitspielen können, ohne dass der Betrachter gleich nach dem „Warum“ fragen muss.

Ein Grund dafür ist die malerische Qualität der Bilder. Intensive suggestive oder dissonante Farben – Gelb, Orange, Blau und Neongrün – werden virtuos aufgefangen von Grautönen. Es gibt perfekt monochrom angestrichene Flächen und solche mit scheinbar willkürlichen Pinselstrichen und zufälligen Farbspritzern.

Schwarze und farbige, ausfransende oder strenge Konturen balancieren eine wohldurchdachte Bildordnung aus. Abstraktes und Figuratives müssen sich hier nicht ausschließen. Vor dem Mauerfall hatten kulturpolitische Verdikte den Realismus in Osteuropa und die abstrakte Kunst im Westen zu gegnerischen Programmen erklärt. Und immer wieder gibt es kurzschlüssige Kategorisierungen.

Der 1968 im sächsischen Radeberg geborene und heute in Berlin lebende Künstler verzichtet in seiner Biografie nicht grundlos auf die Erwähnung seines Malereistudiums Anfang der Neunzigerjahre an der Hochschule für Bildende Künste Dresden.

Schwebende Kugel als Selbstbildnis

Auch der Ausstellung in Frankfurt merkt man an, dass sie durchkomponiert ist. Das Entree bilden sieben großformatige Gemälde, die auf Stellflächen mitten im Raum platziert sind.

Während in anderen Räumen große und kleine Formate an der Wand bleiben und wenige Skulpturen hinzutreten, gibt es einen großen Raum, der ausschließlich den Skulpturen vorbehalten ist.

Zu sehen sind merkwürdige Konstrukte – gefertigt teils aus trivialen Materialien wie MDF-Holzfaserplatte und Pappe, aber auch aus Holz, Granit, Metall, Stoff. Manche Skulpturen lässt der Künstler wie zusammengebastelt wirken; bei den meisten aber dekliniert er zielstrebig Beziehungen von Farben, Formen, Licht, Stofflichkeit und Raum.

Eine hintergründige Beleuchtung mit Neonlicht zum Beispiel setzt Thomas Scheibitz im Wandobjekt If Seven was Nine ein. Seine Titel befeuern die Fantasie der Betrachter, provozieren aber auch Deutungssucht: Ist mit La Horde ein bekannter Horrorfilm gemeint?

Wer ist Henry Stand, so der Titel einer der ausgestellten Arbeiten? Und soll das Porträt Tracy Berglund wirklich jemanden darstellen? Diese Namen kann man durch Internetsuchmaschinen jagen, doch das hilft nicht, die Arbeiten von Thomas Scheibitz zu verstehen. Auch das Selbstporträt hilft nicht weiter: Der Künstler bietet es als eine konstruktivistisch bemalte Stahlkugel dar, die gut sichtbar im Raum schwebt.

Nicht zu entschlüsselnder Code

Thomas Scheibitz hat eine besondere Arbeitsstrategie entwickelt. Er bildet sein Formeninstrumentarium in einer Art Transformations- und Übersetzungsprozess aus.

Ausgangspunkt sind nicht nur eigenes Sehen und Erleben, sondern auch historische und gegenwärtige Formen der Bild- und Dingproduktion. Da kann und muss letztlich gar nichts entschlüsselt werden. Das signalisiert auch der Titel des größten gezeigten Bildes, der zum Ausstellungstitel erkoren wurde: One-Time Pad – so wird ein Verfahren zur Verschlüsselung von geheimen Nachrichten genannt.

Dass die Ausstellung auch Einblick in das Archiv von Thomas Scheibitz gibt – eine opulente Sammlung unterschiedlichster Dinge, Materialien, Fotos und Skizzen – sowie außerdem Entwürfe, Zeichnungen und einige frühere Arbeiten präsentiert, kann nicht nur als Versuch der Aufklärung, sondern auch als Ablenkmanöver verstanden werden.

Thomas Scheibitz: One-Time Pad, Museum für Moderne Kunst, Frankfurt am Main,
29. September 2012 bis 13. Januar 2013

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