Wie die Leipziger Kunsthochschule ihr Gesicht verliert

An der Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig eskaliert der Streit um die Nachfolge des Malers Neo Rauch.
http://www.sz-online.de/nachrichten/kultur/wie-die-leipziger-kunsthochschule-ihr-gesicht-verliert-2142651.html

Veröffentlicht: Sächsische Zeitung, 15.08.2009

Leipzig – Da hat sich einer der spannendsten und international renommierten Maler um eine Professur in Leipzig beworben und wird abgelehnt. Stattdessen wird ein guter Freund des Rektors auf die Stelle berufen. Alles rechtens gelaufen, sagte gestern Professor Joachim Brohm, Rektor der Hochschule für Grafik und Buchkunst (HGB) in Leipzig, beim Pressegespräch.

Vorwurf der Vetternwirtschaft

Das fand symbolträchtig umgeben von Skeletten im Anatomiesaal der Hochschule für Grafik und Buchkunst (HGB) statt. Der vom Niederrhein stammende Fotograf leitet sie seit 2003. Ihm wurde nicht zum ersten Mal, aber vor wenigen Tagen öffentlich durch den Leipziger Maler Neo Rauch Vetternwirtschaft vorgeworfen. Ist das nur Klüngel oder ein handfester Konflikt, der die namhafte Kunsthochschule ins Schlingern bringt und ihren guten Ruf beschädigt?

Prekär ist, dass es sich diesmal um eine der ersten Personalentscheidungen nach der Einführung des neuen Sächsischen Hochschulgesetzes handelt. Hochschulen können nun ohne die zuvor nötige Abstimmung mit dem Ministerium für Wissenschaft und Kunst über Stellenbesetzungen entscheiden. Es sieht so aus, dass mit dem neuen Gesetz nicht nur Bürokratie abgebaut werden soll, sondern auch demokratische Mitbestimmung eingeschränkt werden kann.

Wo liegen die Grenzen?

Wo liegen die Grenzen, wenn ein Rektor seine Institution nach eigenen Vorstellungen formen will? Das fragen nicht nur einige Studenten, sondern auch eine Gruppe von Professoren. Die Ausbildung an der HGB ist handwerklich geprägt und am Menschenbild ausgerichtet, hebt der Essener Fotograf Timm Rautert hervor, der hier 14 Jahre lehrte. „Man spürt nicht mehr das Gären und Blubbern, die Spannung zwischen Positionen, die sich reiben“, sagt Medienkunstprofessor Ralf Urban Bühler. Dass sowohl traditionelle künstlerische Ausdrucksmöglichkeiten in Malerei, Grafik und Buchkunst als auch neue technische Medien in Fotografie, Corporate Design und Medienkunst unter einem Dach ausprobiert werden konnten – darin bestand noch vor wenigen Jahren die Anziehungskraft und die Einzigartigkeit der Leipziger Kunsthochschule.

Kaum zu glauben, dass der sachlich wirkende Rektor, die mit der Neubesetzung dieser prominenten Professur verbundenen Konsequenzen unterschätzt hat.

Neo Rauch legte Lehramt nieder

Der erfolgreiche und von den Medien hofierte Neo Rauch hat nach nur drei Jahren sein spektakulär angetretenes unbefristetes Lehramt niedergelegt. Obwohl oder gerade weil er es sehr ernst nahm. Er hatte eine der zahlenmäßig größten Klassen. Doch sie in Einzelkonsultationen in Ateliers zu betreuen, war logistisch und mental kaum zu bewältigen.

Die Auswahl eines Nachfolgers erwies sich als schwierig. Die Stellenausschreibung forderte zwar „eine Künstlerpersönlichkeit, die sich im Zentrum gegenständlich-figürlicher Malerei bewährt und positioniert haben soll“. Doch dass nun nicht sein Wunschkandidat, der Belgier Michaël Borremans, sondern der konzeptuelle Kölner Maler Heribert C. Ottersbach berufen wurde, ist mehr als ein Affront.

Warum müssen in Leipzig drei von vier Malereiprofessuren im Hauptstudium von Kölner Künstlern besetzt sein? Wird hier vorsätzlich eine Tradition figürlicher Leipziger Malerei abgebrochen – eine Linie von Werner Tübke, Wolfgang Mattheuer, Bernhard Heisig über Arno Rink bis zu Neo Rauch und jüngst einer Schar von jungen Malern? Das die bisher kaum kritisch gesehen wird, kann das nicht legitimieren. Vor etwa zehn Jahren kamen gerade westdeutsche Studenten nach Leipzig, weil sie hier noch malen lernen konnten und machten unerwartet als Neue Leipziger Schule Furore.

Neo Rauch wurde zur Gallionsfigur für einen neuen Siegeszug der Malerei, die lange als antiquiert verabscheut wurde. Für ihn ist Malerei ein Abenteuer, ein Imaginationsfeld. Für H. C. Ottersbach ist sie „eine Plattform, auf der die Gegenstände des Interesses verortet werden“. Im Gegensatz zu Borremans kennen seine Bilder viele nicht im Original. Dass gegen den Belgier nur eigewendet wird, er könnte nicht oft genug im Hochschulbetrieb präsent sein und würde nicht ausreichend Deutsch sprechen, ist provinziell.

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