Das „Carte Blanche“-Projekt der Leipziger Galerie für Zeitgenössische Kunst

Die Missverständnisse sind auch nach sechs Ausstellungen nicht abgebaut. Als die Leipziger Galerie für Zeitgenössische Kunst (GfZK) Anfang 2008 ihre umstrittene Ausstellungsserie „Carte Blanche“ begann, löste sie öffentliche Empörung und kontroverse Debatten aus.

Ausverkauf wurde ihr vorgeworfen und schädliche Naivität. Der Titel hat ihr keine Freude gemacht – das gibt die Direktorin der Leipziger Galerie für Zeitgenössische Kunst, Barbara Steiner, inzwischen zu: „Carte Blanche“ bedeutet zwar, jemandem freie Hand zu lassen. Das aber ist eigentlich gar nicht der Fall, denn das Spielfeld haben wir gebaut, sagt sie: Die elf privaten Akteure, die bis Anfang 2010 je eine Ausstellung nach eigener Fasson bestreiten können, müssen auf jeden Fall Geld haben: mindestens 20.000 Euro für die Betriebskosten, zuzüglich der Ausstellungsmittel. Doch nicht jeder darf hier zahlen. Die Unternehmen – darunter zwei Galeristen – sowie die Sammlerinnen und Sammler wurden gezielt ausgewählt. Unterschiedliche Modelle eines privaten Engagements für Kunst sollen sichtbar gemacht und öffentlich diskutiert werden.

Prekäre Lage wird Forschungsprojekt

Längst ist kein Geheimnis mehr, dass private Sammler, Galeristen, Banken, Sponsoren und Freundeskreise (mit)bestimmen, was öffentliche Museen ankaufen können und ausstellen. Die Etats sind oftmals auf Null und Nichts geschrumpft. Man spricht nur nicht drüber. Oder wenn, dann ist von den selbstlosen Wohltaten der Leihgeber und Schenkenden die Rede und von unabhängigen Jurys und Ankaufskommissionen. Ein Tabu, das die Leipziger Galerie gebrochen hat.

Denn die 1998 in einer umgebauten Leipziger Gründerzeitvilla eröffnete Galerie, die sich inzwischen als Museum für Kunst nach 1945 versteht, das nationale und internationale künstlerische Positionen zeigt und vermittelt, hat ein Budgetproblem. Die „Private-Public-Partnership“ zwischen einem privaten Förderkreis, der Stadt Leipzig und dem Land Sachsen, mit der die in Ostdeutschland einzigartige Gründung auf den Weg gebracht wurde, funktionierte ausgerechnet im zehnten Jahr ihres Bestehens nicht mehr. Nicht einmal um die Teuerungsrate ist der Etat der 2002 in eine Stiftung umgewandelten Galerie erhöht worden. Der private Förderkreis, vertreten durch den Industriellen Arend Oetker, wäre dazu bereit, wenn die öffentlichen Partner mitziehen. Das ist die Krux, sagt die gebürtige Österreicherin Steiner: Die steigenden Betriebskosten lassen sich in keinem der immer bürokratischer werdenden Förderprogramme unterbringen. Aus der prekären Lage nun sogar ein Forschungsprojekt zu machen, ist mehr als eine rettende Idee. Zeit wird gewonnen, um grundlegende Fragen zu verhandeln, die nicht nur die eigene Zukunft, sondern auch andere Museen betreffen.

Entscheidende Fragen

Viel problematischer sei inzwischen, dass die privaten Geldgeber zunehmend das Interesse an den öffentlichen Häusern verlieren und lieber eigene Museen betreiben, stellt Barbara Steiner klar. Ein weiteres Tabu: Wer wird künftig die Deutungshoheit haben, wenn sich die öffentliche Hand zurückzieht und Unternehmen und Sammler lieber in eigene Räume für Kunst investieren? In einem Internetforum – GfZK-3 genannt – wird das Diskussionsmaterial gesammelt.

Fazit zur Halbzeit: Seit einem Jahr werden lauter Ausstellungen gezeigt, die vorher undenkbar waren, ist Kunst zu sehen, die vorher nicht infrage kam, erscheint ganz unterschiedliches Publikum. Die Galerie verliert das Profil, sagen die einen. Warum nicht gleich so, andere. In den Diskussionen wurden die entscheidenden Fragen jedoch vermieden. Das Projekt erweist sich als tückisch: Wie groß ist der Spielraum, geldgebende Gäste zu kritisieren?

Interessenkonflikte nicht öffentlich

In der ersten Ausstellung zog ein örtliches IT-Unternehmen Bilanz: Seit fünf Jahren finanziert es einen Preis für südosteuropäische Künstler inklusive Ausstellung in der Galerie. Einige der Künstler haben nun auch den Markt erobert. In Nummer Zwei präsentierte die Leipziger Volkszeitung ihre Kunstpreisträger. Gut für die Künstler, dass nicht nur angekaufte, sondern auch aktuelle Arbeiten gezeigt wurden. Das Sammlungsprofil war so freilich nicht zu erkennen. Ausgefeilt kuratiert, stellte das Sammlerpaar Oetker erstmals seinen persönlichen Kunstbesitz vor. Der Unternehmer, der die Galerie von Anfang an mitfinanziert, ließ sich freilich nicht aus der Reserve locken. Die Leipziger Galerie Dogenhaus brachte die aufwendigen Installationen ihres Hauskünstlers Julius Popp, die moderne Informationstechnologien adaptieren, in einen Dialog mit den fein gezeichneten Schemata des US-Amerikaners Mark Lombardi, in denen er Verbindungen von Politik, Finanzkapital und Terrorismus recherchierte. Prestigegewinn und Preissteigerung als gängige Zwecke solcher Auftritte außerhalb der eigenen Räume wurden nicht infrage gestellt. Auch hier scheute man sich, Interessenkonflikte öffentlich zu machen.

Leerstellen bleiben

Zurzeit ist die Verbundnetz Gas AG mit Carte Blanche VI an der Reihe. Neben ihrer Sammlung junger sächsischer Kunst zeigt sie ein eigens für diese Ausstellung initiiertes Projekt, mit der sie ihre beeindruckende Fotosammlung erweitert: Von August bis Dezember 1989 tagebuchartig datierte und gereihte Aufnahmen zahlreicher Fotografen und Fotografinnen fächern Geschichte in subjektive Bilder auf.

Wenn als Nächstes die Galerie Eigen+Art – wie angekündigt – zeigen will, mit welchen Strategien sie an Kunstmessen teilnimmt, wird die Art Basel Miami Beach nicht mehr dabei sein. Gerade wurde bekannt, dass Carte Blanche XI, die letzte Ausstellung, leer bleiben könnte. Das Sammlerpaar Schmitter will nicht mehr mitmachen – sowohl wegen der Kosten als auch wegen der anhaltenden Kritik am Gesamtprojekt. Ob es neue Erkenntnisse für eine Kooperation von öffentlichen Museen und privaten Unternehmen gibt, bleibt bisher offen, muss sich spätestens in der geplanten Abschlusspublikation erweisen.

Artikel auf goethe.de lesen: http://109.68.50.141/kue/bku/kuw/en4540234.htm
>Veröffentlicht im Mai 2009<