„Begleiter“ – Neo Rauch zum Fünfzigsten

Kaum ein anderer zeitgenössischer Künstler bekommt so viel begeisterten Zuspruch und so harsche Ablehnung und Verrisse: Eine großangelegte Doppelausstellung in seiner Heimatsstadt Leipzig und in München feiert den Maler Neo Rauch anlässlich seines 50. Geburtstages und zeigt, wie sich seine Bilder verändert haben.

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„Wenn Kunst eine Aufgabe hat, dann die, dass ein Flämmchen entsteht – im Guten wie Bösen“, bekannte Neo Rauch zur Eröffnung seiner Ausstellung im Museum der bildenden Künste in seiner Heimatstadt Leipzig. An seinen Bildern entzünden sich die Gemüter heftig. Denn er lässt es sich nicht nehmen zu malen – noch dazu in figurativer Tradition. Die ist eigentlich ad acta gelegt, seit die Bildproduktion von technischen Medien übernommen wurde.

Der bodenständige Leipziger ist einer der prominentesten Vorreiter eines neuen Siegeszuges der Malerei und hat es sogar zum „Medienstar“ gebracht. Doch nicht der kometenhafte Aufstieg sei es, nicht der Markt, nicht die Wortgewandtheit des Künstlers und auch nicht sein 50. Geburtstag, sondern das Werk selbst, begründet Kurator Bernhart Schwenk in München, weshalb die Pinakothek der Moderne Partner der Doppel-Retrospektive ist.

Denn das Werk hat sich in den letzten 17 Jahren gravierend verändert – davon kann man sich jetzt an beiden Orten mit je 60 Bildern überzeugen. Zusammengeholt vorwiegend aus Privatsammlungen. Öffentliche Museen haben anfangs mit Ankäufen gezögert und konnten dann nicht mehr mithalten mit den rasant gestiegenen Preisen.

Rauchs Bilder vermeiden das Eindeutige vorsätzlich

Vorführung (1996) heißt das erste Bild, das man sieht, wenn man in München die große Treppe zum oberen Geschoss erklommen hat. Eine männliche Tischgesellschaft auf schiefer Ebene zwischen einem unsäglichen pinkrosafarbenen Himmel und banal grünen Bierkästen als Sitzgelegenheiten. Wird hier das Abendmahlmotiv der alten Meister adaptiert? Ist es der Künstler, der jetzt verraten wird? Rauchs Bilder vermeiden das Eindeutige vorsätzlich.

In Leipzig wird man die Stufen hinuntergeführt und kann entweder auf Oktober (2009) treffen oder auf die Weiche (1999). Konzept ist es hier, Bilder unterschiedlicher Entstehungsjahre miteinander ins Gespräch zu bringen. Der Münchner Kurator dagegen ist stolz darauf, in jedem Raum einen „anderen Rauch“ zu zeigen und erhebt jeweils einen Bildtitel zum Motto. Denn der Künstler liebt Titel, die wie seine Bilder Gedanken in verschiedene Richtungen treiben.

Kann man mit den Mitteln der Malerei noch großes Welttheater spielen?

Ende der Neunzigerjahre hat sich in der Malerei von Neo Rauch Farbe gegen das Schwarz der frühen Arbeiten durchgesetzt – zurückhaltend, was als verblichen interpretiert wurde. Das Haus(1996) ist eines der wunderbaren Bilder, in denen der Künstler virtuos, intelligent und oft auch ironisch mit illusionistischen und abstrakten Bildzonen spielt und grafisch konturiert das Bildgeschehen unter Kontrolle hält. Oft fügt er Wortfetzen ein und Sprechblasen. In den nachfolgenden Jahren steigern sich Farben und Formate, nimmt das Bildpersonal zu, schleichen sich in manchmal sogar heitere Stimmungen düstere Töne ein.

Ein Bild wie Das Unreine (2004) wirkt wie ein Grenzstein. Dunkle Viecher mit Menschengesicht ducken sich im Vordergrund eines dämmrigen Innenraumes. Farbe wälzt sich dickflüssig dekorativ eine Holztreppe hinunter, während ein fellhäutiger Schinken an der Wand hängt. Ein Mann löffelt Suppe in ein Gefäß, die ein kleiner Westenträger im Hintergrund serviert. Eine bittere Persiflage des Kunstmarktes?

Fast unerträglich ballen sich fortan auf immer größeren Leinwänden bedeutungsträchtige Gestalten. Kann man mit den Mitteln der Malerei wirklich noch großes Welttheater spielen? Mit Revo, einem der zahlreichen atelierfrischen Bilder, versucht es der Künstler auf drei mal fünf Quadratmetern und buchstabiert darauf rückwärts „Over“. Hier gibt es weder ein räumliches noch gedankliches Zentrum, sondern divergierende Fluchtpunkte.

Malerisch famose Regionen, unfertig aufgelassene Terrains, eklektische Einverleibungen und phantastische Formerfindungen können in ein und demselben Bild vorkommen oder zeitnah entstandene Formate wie Ausschüttung (2009) und Schilfkind (2010) einander so fremd erscheinen lassen, als wären sie von verschiedenen Künstlern gemalt.

Nach der Wende galt Malen als verpöntes Handwerk

Nach der verheißungsvollen politischen Wende stand Malerei, speziell die ostdeutscher Provenienz, unter Generalverdacht: Malen galt als verpöntes Handwerk, nach Ölfarbe und Terpentin zu riechen als Stigma.

1990 war Neo Rauch 30 Jahre alt. In Leipzig geboren, wuchs er bei Großeltern in Aschersleben in Sachsen-Anhalt auf, weil seine Eltern – beide Kunststudenten – wenige Wochen nach seiner Geburt bei einem Zugunglück ums Leben kamen. Er studierte von 1981 bis 1986 an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig bei Arno Rink und absolvierte danach Meisterschülerjahre bei Bernhard Heisig. Eine 2005 honorig angetretene Professur aber beendete er nach nur drei Jahren.

Die erlittenen Schmähungen erzeugen bis heute ein Widerstandspotenzial. Neo Rauch machte seine Bilder zu Gefechtsfeldern. Und das sind sie geblieben. In ihnen spielt er seine Kämpfe durch – in der Kunst und wie im Leben – mit einem Arsenal von Figuren, die ihn begleiten. Fast auf jedem seiner Bilder findet sich ein Protagonist, der ihm ähnelt.

Nicht von ungefähr heißt die Ausstellung „Begleiter“

Vor allem die Faszination der Amerikaner für seinen „postsocialist realism“ hat Neo Rauchs Ruf in die Welt getragen. Das Unvertraute und Befremdende ist es, was fasziniert, sagt der Leipziger Museumsdirektor Hans-Werner Schmidt.

Der Erfolg von Neo Rauch hat zahlreiche jüngere Künstler ermutigt, sich wieder der Malerei zuzuwenden und Leipzig auf der Kunstweltkarte markiert. Doch die Doppelschau provoziert auch die Frage, ob das Werk Bestand haben wird.

Ein Bild mit dem Titel Die Flamme (2007) zeigt einen Mann, der weit ausschreitet. Die Windmühlenflügel, die ihm ans Bein gebunden sind, beginnen sich aufzulösen.

Ausstellung „Neo Rauch – Begleiter“, gleichzeitig im Museum der bildenden Künste Leipzig und in der Pinakothek der Moderne München, bis 15.08.2010

Katalog zur Ausstellung: Hrsg. Hans-Werner Schmidt, Bernhart Schwenk,
mit Texten der Kuratoren sowie von Kunsthistorikern und Künstlern und einem Essay von Uwe Tellkamp,
erschienen bei Hatje Cantz

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