Er galt als Enfant terrible des Kunstbetriebes, lebte exzessiv und starb früh. Anlässlich des 60. Geburtstages von Martin Kippenberger würdigt das Berliner Museum für Gegenwart im Hamburger Bahnhof den umstrittenen Künstler und präsentiert das vielgestaltige Werk nun weihevoll museal.
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„Es wäre gescheiter, das Leben ging weiter, Yuppi Du, Yuppi Du, Yuppi Du …“, sang Martin Kippenberger 1984 zu einer Melodie des italienischen Sängers Adriano Celentano. Mit solchen rigorosen Aneignungen hat der 1953 in Dortmund geborene Künstler Werk und Leben vorangetrieben. Kippenberger gehörte zu denen, die viel wollten, viel machten und früh starben – von denen man dann sagt, sie hätten an beiden Seiten der Kerze gebrannt.
„Berlin muss neu gestrichen werden“
Kippenbergers Leben endete nach 44 Jahren. Seinen 60. Geburtstag am 25. Februar 2013 nimmt das Museum für Gegenwart im Hamburger Bahnhof in Berlin zum Anlass für eine Ausstellung, die keine Retrospektive sein will, sondern eine „Annäherung an die private und öffentliche Person wie auch an den Künstler“.
Der war rastlos unterwegs, agierte in Berlin von 1978 bis 1981 zwar nur kurz, aber heftig. „Berlin muss neu gestrichen werden“ war einer seiner Slogans. In Berlin gründete er das Büro Kippenberger, war Mitinhaber des Punk-Clubs SO36 und trat dort auch auf.
Auf einem Gemälde dieser Zeit hat sich Kippenberger mit bandagiertem Gesicht verewigt. Eine Punkerin hatte ihn mit einem zerbrochenen Bierglas angegriffen, weil die Preise zu hoch waren – und wohl auch, weil er als Anzug-Typ einfach nicht in die Szene passte. Kippenberger erweckte Anstoß, ob er wollte oder nicht. Meistens wollte er das.
Der Sound der Ausstellung
Sehr gut/very good – schon im Titel bejubelt die Berliner Ausstellung nun einen Künstler, der laut Ausstellungstext „Maler, Schauspieler, Schriftsteller, Musiker, Trinker, Tänzer, Reisender, Charmeur, Enfant terrible und Selbstinszenierer war“. Einen, der provozierte, aber eigentlich Anerkennung wollte. Der zu Lebzeiten umstritten war, sogar als Außenseiter galt. Nun scheint „Kippi“, wie er sich selbst und wie ihn seine Freunde nannten, Kult zu sein.
„Ja, Ja, Ja, Ja, Ja, Nee, Nee, Nee, Nee, Nee“ hört man gleich im ersten Ausstellungsraum die Stimme des Künstlers aus dem Off. Es handelt sich um eine respektlose Persiflage der legendären Fluxus-Performance des Überkünstlers Joseph Beuys. Jetzt allerdings klingt diese Endlos-Ton-Schleife beinahe wie ein Soundtrack zu den hinterlassenen Werken des notorischen Selbstdarstellers Kippenberger.
Kippenberger – heftiger Spaß ohne Ende?
Sogar Kritik hat der als exzessiver, alkoholgetriebener Macho Verrufene in Kunst umgemünzt: Martin, ab in die Ecke und schäm dich lautet der Titel einer lebensgroßen Figurine – natürlich in der Ecke stehend. Auf einem gemalten Selbstbildnis zeigt sich der Künstler mit einem umgehängten Schild: „Bitte nicht nach Hause schicken“. Eine gewagte Verquickung von Anspielungen auf biografische Details, aber auch auf dunkle Zeiten deutscher Geschichte. Es sind Werke aus den Achtzigerjahren, die als Auftakt der Berliner Ausstellung den kalauernden Ironiker zeigen, der Banales nicht scheut. Doch Kippenberger auf den schlagfertigen Spaßmacher zu reduzieren, hieße ihn missverstehen.
Die Ausstellung spannt einen weiten Bogen: von der frühen, 1976 und 1977 in Florenz entstandenen, schwarz-weiß gemalten Bilderserie Uno di voi (Einer von Euch) bis zu den eindringlichen Selbstbildnissen des kranken, erschöpften Künstlers aus seinem vorletzten Lebensjahr.
Da versetzte sich Kippenberger in die Haltungen der Schiffsbrüchigen auf Théodore Géricaults bekanntem Gemälde Floß der Medusa (1819). Kräftige Pinselhiebe fixieren den entblößten verkrampften Männerkörper.
Ein Wirrwarr von Bezüglichkeiten
Außer Malerei bezeugen Skulpturen, Installationen, Plakate, Fotografien, Bücher und Zeichnungen (bevorzugt auf Hotel-Briefpapier) die fulminante Produktivität Kippenbergers. Ein Netz an biografischen Bezügen, vieldeutigen Verweisen und ruppigen Kommentaren zum Kunstbetrieb und Gesellschaftsklima jener Jahre lässt sich erahnen. Kippenberger scheint nichts ausgelassen zu haben. Was zum Beispiel sollen Objekte aus gestapelten Europaletten? Eine Anspielung auf die Ödnis moderner Architektur? Dass auch der tragische Unfalltod der Mutter durch eine herabstürzende Palette gemeint ist, erschließt sich nicht von selbst.
Die meisten Werke Kippenbergers sprechen nicht für sich, durch sich allein. Wohl aber lösen einige immer noch Skandale aus. Wie jüngst die bunten Frösche am Kreuz – mit Spiegelei und Bierglas als Beigaben und dem Titel Zuerst die Füße (1990/91).
Dabei handelt es sich vor allem um Selbstbildnisse. Zum wiederholt eingesetzten Markenzeichen wurde die torkelnde Laterne. Weil er nicht für die Documenta IX (1992) ausgewählt wurde, stellte der Künstler an prominenter Stelle im Außengelände der Kasseler Weltkunstschau ein tief gebeugtes Exemplar mit einer Plexiglas-Träne auf.
Ein museumsreifes Gesamtkunstwerk?
Der populärste Coup gelang Kippenberger mit der Gemäldeserie Lieber Maler, male mir …, die er von einem Filmplakate-Maler ausführen ließ. Das Bild der Paris Bar, seiner Berliner Stammkneipe, gehört dazu. Hier tauschte der Künstler Bilder gegen kostenfreies Zechen ein, hier hingen die Bilder dicht an dicht, wie es Kippenberger liebte. In der Berliner Ausstellung dagegen werden seine Werke nun museal pathetisch präsentiert. Es hätte ihm aber letztlich wohl doch gefallen.
Für die Bewertung seiner Arbeiten hatte Kippenberger sowieso schon selbst gesorgt: mit einer Installation von elf weißen Leinwänden, die nach der Anweisung des Künstlers fugenlos in weiße Museumswände einzulassen sind.
In Berlin könnte man sie fast übersehen – wenn man nicht die weiße, krakelige Schrift erkennt. Kippenberger hatte einen Jungen gebeten, seine Werke in einem Satz zu beschreiben und mit „Sehr gut“ zu benoten. Das Resultat übertrug er Weiß auf Weiß. So hatte „Kippi“ seine Ankunft im Museum schon vorweggenommen.
Martin Kippenberger: sehr gut/very good, Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart, Berlin, 23. Februar bis 18. August 2013
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