Ins Bild gesetzt: Leipzig zeigt eine Foto-Mammut-Schau und diskutiert, ob es in diesem Metier wie in der Malerei eine Leipziger Schule gibt.

Beitrag in der Sächsischen Zeitung, 21.04.2011

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So eine Ausstellung wird es nicht gleich wieder geben. Von vorn, aber auch von hinten kann man sie anschauen, diese Mammut-Schau. Sie will beweisen, dass Leipzig auch eine Stadt der Fotografie ist. Drei Museen kooperieren, um einen Parcours über 170 Jahre darzubieten – mit 840 Bildern von 190Fotografen und Fotografinnen. Diskutiert wird, ob es auch – oder vor allem – in diesem Metier eine Leipziger Schule gibt.Schließlich wurde in Leipzig 1893 der erste Kurs für fotomechanische Reproduktion eröffnet, 1905 „Naturphotographie“ als Lehrfach, 1914 die erste Professur mit dem Amerikaner Frank Eugene Smith eingerichtet. In der Messestadt setzten zu DDR-Zeiten Arno Fischer und Evelyn Richter Maßstäbe. Nach 1990 sorgten Astrid Klein, Timm Rautert, Joachim Brohm und Tina Bara für Qualität und Vielfalt fotografischer Ausbildung an der Hochschule für Grafik und Buchkunst. Zahlreiche Absolventen eroberten den internationalen Kunstmarkt.
Von vorn
1839 gilt als Geburtsstunde der Fotografie, weil der Franzose Daguerre ein Verfahren gefunden hatte, Lichtbilder auf kleinen Glasplatten dauerhaft zu fixieren. Noch im gleichen Jahr gab es eine Ausstellung dazu im Leipziger Kunstverein. Wenige Jahre später kamen zahlreiche Daguerreotypisten in die Stadt, um mit „wohlfeilen Porträts“ zahlungsfähige Kunden zu verewigen. So auch die gebürtige Cottbuserin Bertha Wehnert-Beckmann (1815 – 1901), die sehr versiert und geschäftstüchtig war. Sie gilt als erste Berufsfotografin der Welt. Die meisten dieser kleinformatigen Unikate, die sorgsam in Etuis aus Leder und Samt verwahrt wurden, sind erstmals im Grassi Museum für Angewandte Kunst zu sehen, obwohl viele zu dessen Bestand gehören. Hier beginnt die Ausstellung und führt bis zum ersten Weltkrieg. Da ermöglichten schon Positiv-Negativ-Verfahren die massenhafte Vervielfältigung auf Papier.Die nachfolgenden Jahrzehnte bis zum Mauerbau kann man im Stadtgeschichtlichen Museum besichtigen. Das sammelt und präsentiert Fotografien als historische Zeugnisse: Leipzig, wie es damals war, ist zu sehen. Presse, Buchdruck und Industrie boten in der boomenden Messestadt eine gute Auftragslage für Berufsfotografen. Auch die wenigen erhaltenen Aufnahmen vom „normalen“ Leben und von Massenveranstaltungen in der Nazizeit sprechen Bände. „Der letzte Tote des II. Weltkrieges“ und Abzüge weiterer berühmter Fotos, die der legendäre amerikanische Kriegsfotograf Robert Capa im April 1945 in Leipzig machte, hat das Museum erworben.Trümmer und Neubeginn hielten Leipziger Fotografen fest. Die Gruppe „action fotografie“ musste jedoch die Hoffnung auf eine Erneuerung der Fotografie Ende der 1950er-Jahre wieder aufgeben.Enge und Unbehagen während der DDR-Jahre versucht das Museum der bildenden Künste zu veranschaulichen. Eine Zeit des Nachgebens und des Widerstandes gegen ideologische Forderungen und existenzielle Diskriminierungen. Wie dennoch vor allem der Schwarz-Weiß-Fotografie zahlreiche Zwischentöne, Individualität und Subversion abgewonnen werden konnten – in den letzten Jahren auch in Installationen und Aktionen – beeindruckt.Von hintenFotografie hat die Globalisierung vorangetrieben. Die massenmediale Bilderflut bestimmt den Alltag. Heute kann jeder fotografieren. Digitale Praktiken widerlegen ständig die technisch legitimierte Glaubwürdigkeit von Fotografie, doch man traut ihr noch immer. Dokumentation oder Kunst? Echt oder gefaket? Handwerklich perfekt oder vorsätzlich dilettantisch? Regeln und Gewissheiten sind in den ambitionierten Arbeiten der jüngsten Generation außer Kraft gesetzt.

„Leipzig. Fotografie seit 1839“, bis 15. Mai 2011, Museum der bildenden Künste Leipzig, Grassi Museum Leipzig, Stadtgeschichtliches Museum Leipzig

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